Die SBB elektrifiziert früh
Die frühe Elektrifizierung der SBB kam dank neuem Rollmaterial auch der Bedienung vieler Stationen zugute – dem was wir heute als S-Bahn bezeichnen.
Die erste «Stadtbahn» 1902 wurde noch mit einem einzelnen Benzin-Motorwagen betrieben. Das Ziel solcher Fahrzeuge im Dampfzeitalter war kostengünstige Bedienung von Nebenstrecken mit kleinerem Verkehrsaufkommen oder frühe Pendlerstrecken. Der Betrieb des Triebfahrzeuges (damit sind alle Fahrzeuge subsumiert, auch Lokomotiven) mit Kohle- (oder Holz-)erzeugtem Dampf war aufwendig und benötigte mindestens zwei Personen – Lokomotivführer und Heizer (daher der Name Chauffeur!). Und eine Dampflok war ein eher komplexes Gebilde. Die Erfindung des Triebwagens, mit dem Fahrgastkabine und Antriebseinheit in einem Fahrzeug vereinigt wurden, lag auf der Hand. Weil das Fahrzeug mit Diesel oder Benzin betrieben werden konnte, war es möglich, den Treibstoff kompakt mitzuführen und Wasser nachtanken war nicht nötig. Der Heizer entfiel.
Deshalb begann die NOB kurz vor der Verstaatlichung mit zwei Triebwagen zu experimentieren, und als sie bereit für einen regulären Betrieb war, übernahm die SBB die beiden Fahrzeuge, was Zug ja bekanntlich die erste Stadtbahn bescherte. Der Artikel dazu in der Zuger Zeitung vom 14. Juli 2022 hier.
Viel die bessere Lösung war aber der elektrische Betrieb, der gerade auch für Triebfahrzeuge ideal war. Aber es galt, zwei grosse Probleme zu überwinden: woher den Strom nehmen und wie kommt der Strom zum Triebfahrzeug? Beides bedingte enorme Investitionen! Der Trigger für die Umsetzung der Elektrifizierungspläne, die schon früh eingehend studiert wurden, waren schliesslich der Kohlemangel im ersten Weltkrieg und die Bedürfnisse der Gotthardbahn nach leistungsfähiger Traktion.
Die Schweiz hatte nur wenig Kohlevorkommen. Aber viel Wasserkraft in den Alpen und an den Flüssen. Stauseen und Flusskraftwerke konnten den Strom liefern.
Und der Transport des Stromes geschah über Hochspannungsleitungen mit relativ kleinem Verlust und über Fahrleitungen.
Das Pilotprojekt war der Simplontunnel, den die Brown Boveri & Cie. (BBC) – auf eigenes Risiko! – erfolgreich elektrifizierte und der quasi den «proof of concept» lieferte.
Danach ging man daran, die Gotthardstrecke samt einigen Zulaufstrecken zu elektrifizieren und Kraftwerke zur Stromversorgung zu bauen – in Amsteg und im Wallis mit dem Barberine-Stausee. Über den Bau des letzteren gibt es bei SBB Historic eine wunderbare DVD, aber der Film steht leider nicht auf Youtube. In Zug wurde 1923 mit diesem Film das «Grand Cinéma» beim Bahnhof – heute Kino Gotthard – eröffnet!
Für die schweren Güterzüge am Gotthard konstruierte dann ein Konsortium von MFO (Maschinenfabrik Oerlikon) und SLM (Schweizerische Lokomotiv- und Maschinenfabrik) das wegen seiner Dimensionen und Formgebung berühmt gewordene Krokodil. Hier eine weniger bekannte Aufnahme der Ce 6/8 im Personenverkehr am Gotthard unterhalb von Wassen:
Bereits 1922 konnte der durchgehend elektrische Betrieb der Strecke in Betrieb genommen werden, ein Jahr später folgte Zug-Luzern. Und dieser Betrieb erfolgte auf der Strecke Zürich-Zug-Luzern von Beginn an mit elektrischen Triebwagen. Der Elektrische Triebwagen Ce 4/6 war ein voller Erfolg und wurde von der Schweizerischen Bauzeitung in zwei Artikeln detailliert beschrieben:
Weil die Elektrifikation der Strecken so teuer war, beschaffte die SBB für Nebenstrecken aber auch früh dieselbetriebene Triebfahrzeugen, wie zum Beispiel 1925 den Personen-Triebwagen CFm 2/4:
Die Schweiz hat die Elektrifizierung als einziges europäisches Land durchgezogen, mit riesigem finanziellem Aufwand. Und wieder war es ein grosser Krieg, der diese Investition ökonomisch legitimierte und eine politische Mehrheit für die Entschuldung der SBB ermöglichte: die Bahn fuhr auch während des 2. Weltkrieges immer – mit einheimischer «weisser Kohle», wie der elektrische Strom auch genannt wurde. Währenddessen musste der Strassenverkehr stark rationiert werden und viele Strassenfahrzeuge auf Holzvergaser umstellen oder stehen bleiben.
Heute sticht die Schweiz mit einer fast vollständigen Elektrifizierung heraus, die Vorteile liegen auf der Hand. In der «Bibel» für alle Schweizer Eisenbahnbegeisterten – dem «Wägli» – ist auf einer Übersichtskarte der Stand der Elektrifizierung samt Zeitpunkt pro Strecke dokumentiert:
Dass es Europa nicht geschafft hat, ein einheitliches Stromsystem zu implementieren, steht auf einem anderen Blatt.
Die bisher besten Filme über den Bau und das Drumherum der Elektrifizierung der Eisenbahn habe ich im Archiv der französischen Staatsbahnen SNCF gefunden, beide sind auf Youtube:
DE FILS EN AIGUILLES – 1950 SNCF Ferroviaire / French Trains
Ce film traite de l’électrification de la ligne Paris-Lyon et en présente les avantages, tant au plan du trafic ferroviaire que de l’économie nationale. Les différentes phases des travaux y sont clairement détaillées, de la production énergétique à la pose des caténaires, en passant par la mise au gabarit des ouvrages d’art.
VALENCIENNES-THIONVILLE – 1955 SNCF Ferroviaire
Ce reportage présente les grandes étapes de l’électrification en 25 000 volts de la ligne Valenciennes à Thionville.
Download
Eine ausführliche Beschreibung der Elektrifizierungsanstrengungen der SBB in den 1920er Jahren gibt eine Druckschrift des damaligen Verantwortlichen bei der SBB.
Von Dr. E. Huber-Stockar. Dipl. Maschineningenieur
Quelle: Bundesarchiv, CH-BAR_E8100B_1976-133_690_2
«Die Elektrifizierung der Schweizerischen Bundesbahnen bis Ende 1928.»
Zwei Artikel in der Schweizerischen Bauzeitung über den Triebwagen Ce 4/6 anlässlich des Beginns des elektrifizierten Betriebes auf der Strecke Zürich-Zug-Luzern am 5. Mai 1923. Die beiden Artikel geben einen spannenden und detaillierten Einblick in die Entwicklung der elektrischen Traktion.
Quelle: www.E-Periodica.ch
Die Einphasen-Motorwagen, Typ Ce 4/6, G.e.P.-Festausgabe
Die Einphasen-Motorwagen, Typ Ce 4/6, Heft 2
Zum gleichen Anlass publizierte die Schweizerische Bauzeitung einen Artikel über die Stromversorgung auf der Strecke Zürich-Zug mit dem Unterwerk Sihlbrugg.
Quelle: www.E-Periodica.ch
Das Freiluft-Unterwerk Sihlbrugg der S.B.B.