Erste Reorganisation der SBB 1923

Eine kunstvolle Darstellung des Kreis III. zu dem bis Ende 1923 auch die Linien im Kanton Zug gehörten. Die in Deutschland erschienene Karte hat aber Fehler: ab Immensee Richtung Gotthard und ab Zug Richtung Goldau gehörten die Linien zum Kreis V. Siehe auch Karte unten.                      Bild: SBB Historic, Scan Stuber

Wir haben in der Geschichte zur Haltestelle Oberwil gesehen, dass die Reorganisation der SBB das Projekt spürbar verzögert hat. Ob es deshalb gefährdet war, muss beim aktuellen Forschungsstand offen bleiben. Die Episode wirft ein kleines Licht auf ein in der Geschichtsschreibung m.E. zu tief gehängtes Thema. Die Reorganisation von 1923 hat die SBB durchgerüttelt und es gingen ihr seit 1909 mehrere Anläufe zur Neuorganisation voraus.

Die Schweizerischen Bundesbahnen SBB wurden 1902 als Zusammenschluss von vier der fünf grossen privaten Eisenbahngesellschaften gegründet (die Gotthardbahn folgte 1909 als fünfte Gesellschaft). Es war eine schwerfällige Organisation, weil im Prinzip die fünf Bahnen fast 1:1 im organisatorischen Aufbau abgebildet wurden. So wurde in Art. 14 des Rückkaufsgesetzes von 1897 festgelegt, dass «das Bundesbahnnetz in fünf Kreise eingeteilt wird, welche ihren Sitz in Lausanne, Basel, Luzern, Zürich und St. Gallen haben.» Also die Sitze von Jura-Simplonbahn, Centralbahn, Gotthardbahn, Nordostbahn und Vereinigter Schweizerbahn.

Halbherzige Verstaatlichung schafft ineffiziente Bürokratie

In der weiter unten als Download angebotenen lesenswerten Botschaft «betreffend die Änderung der Organisation und Verwaltung der Schweizerischen Bundesbahnen» vom 16. Juni 1921 umschreibt der Bundesrat die Ausgangslage auf Seite 571 etwas umständlich so: «Dass die gegenwärtige Organisation der Verwaltung der Bundesbahnen schwerfällig ist, wird von niemand bestritten. Schon das Rückkaufsgesetz vom 15. Oktober 1897 trug als Kompromissgesetz, wie erwähnt, die Keime für die spätern Anfeindungen der dadurch geschaffenen Verwaltungseinrichtung in sich. Die zur Zeit der Privatbahnen herrschenden Verhältnisse wurden, um damit verbundene Interessen der Bevölkerung möglichst zu schonen, in ziemlich weitgehendem Masse beibehalten. Dies hatte zur Folge, dass die Staatsbahnorganisation auch noch mit gewissen Mängeln des frühern Systems belastet wurde, an denen sie zum Teil heute noch zu tragen hat.»

Oder anders gesagt: die Besitzstandswahrung vor allem des Verwaltungsapparates der verstaatlichten Bahnen und die öffentlichen Ansprüche an die Bahn (z.B. möglichst tiefe Tarife und ein möglichst umfangreicher Fahrplan) kollidierten mit dem Bestreben, die Bahndienstleistungen mit den tiefen Kosten zu erbringen.

Die Lektüre der Botschaft zeitigt erfrischend direkte Aussagen über die bürokratische Aufblähung des Apparates (jeder Kreis verfügte über eine grosse Kreisdirektion mit einem überdimensionierten administrativen Verwaltungsapparat) und die schwerfällige Führung (z.B. mit einem 55-köpfigen Verwaltungsrat – jeder Kanton hatte Anrecht auf einen Sitz – es galt ja, eine Abstimmung zu gewinnen!). Ein Setting also, «wodurch sich die für ein einheitliches Eisenbahnnetz von nicht ganz 3000 km unverhältnismässig grosse Zahl von 20 Direktoren ergab. Diese Direktoren-Hypertrophie führte aber unwillkürlich zu einem grossen Beamtenstab und allen damit verbundenen Nachteilen.

Das Rückkaufsgesetz hatte auch die Verwaltung viel zu reichlich mit Instanzen und Dienststellen ausgestattet, und deshalb wurde ihr Geschäftsgang umständlich und schleppend, zum Schaden der Arbeitsfreudigkeit im Innern der Verwaltung und zum Ärger der Bevölkerung. Man gewinnt den Eindruck, dass einzelne dieser Instanzen den Verwaltungsapparat allein schon dadurch belasten, dass sie gefragt sein wollen und ihnen berichtet werden muss», wie der Bundesrat in seiner Botschaft auf Seite 572 freimütig schreibt.

(K)ein Befreiungsschlag 1923

Bereits 1909 kam es zu ersten ernsthaften Bemühungen zur Reorganisation, aber erst die finanziell einschneidenden Kriegsjahre, die Arbeitszeitverkürzung nach dem Landesstreik sowie offensichtliche Unzufriedenheit über die Bürokratie in der SBB selber sorgten für einen genügend grossen Leidens- und Kostendruck. Der grosse Schritt – die Aufhebung der 5 Kreise und eine Zentralisation gepaart mit föderalen Elementen – wurde zwar von der SBB-Generaldirektion vorgeschlagen, aber nicht gewagt. Die Reorganisation blieb zwar einschneidend mit einer Reduktion von fünf auf drei Kreise, einer teilweise massiven Verkleinerung der Führungsapparate und einer Zentralisierung der Maschinen- und Materialverwaltung, aber ein wirklicher Befreiungsschlag war es nicht. Zur reduzierten, aber immer noch weiter bestehenden Schwerfälligkeit des Apparates gesellte sich der finanzielle Klotz der Verzinsung und Tilgung der Schulden aus dem Rückkauf, der im Gesetz von 1923 im Art. 27 bestätigt wurde. Dieser Klotz wurde noch schwerer durch die enormen Kosten der laufenden Elektrifikation.

Es erstaunt, dass die ersten drei ungemein spannenden Jahrzehnte der SBB eher unter dem Radar der Geschichtsschreibung fliegen. Der Schreibende hofft, darauf zurückkommen zu können – im Archiv von SBB Historic liegen die dazugehörenden Akten, wie eine Kurzrecherche zeigte. Im Moment beschränken wir uns darauf, einige Grundlagendokumente zusammenzustellen und zum Download anzubieten. Einige stehen nach aktuellem Wissensstand als Digitalisate bisher einmalig zur Verfügung.

Dieser Artikel ist Bestandteil der Triade 1.